Donnerstag, 28. September 2017

Im Kino – Mr. Long und andere Filme

Der Film Mr. Long des japanischen Regisseurs Sabu ist einer von jener Sorte, in der die Spannbreite zwischen emotional berührenden Szenen und großer Brutalität und Tragik sehr groß ist. Erzählt wird von einem taiwanesischen Killer, der sich nach einem verpatzten Auftrag in Japan erheblich verletzt in eine verfallene Siedlung einer kleineren japanischen Stadt retten kann. Dort entdeckt ihn ein Junge, der ihm nach und nach Wasser, Medikamente und Verbandszeug und Sachen zum Essen bringt.

Doch das Gemüse ist roh und so sucht sich der Mann in einer der verlassenen Wohnungen eine Kochnische, um die Sachen aufzubereiten. Einige JapanerInnen entdecken seine Kochkünste und laden ihn ein. Später wird ihm eine schiebbare mobile Küche quasi aufgedrängt, mit der er zu geeigneten Orten in der Stadt aufbrechen kann, um Nudelessen zu kochen und zu verkaufen. Der Junge zieht mit ihm los und hilft in der Kleinküche.

Später hilft auch die Mutter des Jungen mit, aber zuvor muss er sie von ihrer Heroinsucht zwangsbefreien – logisch, auf die brutale Tour mit eiskaltem Bad und tagelanger Fesselung.

Sie beginnen eine zarte Beziehung, doch die Frau kommt bald zu Tode, als sie von ihrem Dealer entdeckt wird. Der Killer/Koch muss realisieren, dass auch er „entdeckt“ wurde von der mafiösen Bande, deren Chef er töten sollte. Sie zerstören seine mobile Küche und schlagen die NachbarInnen, die das verhindern wollen. Es kommt zu einem Showdown, eine japanische Italo-Western-Variante, die weitgehend mit Messern ausgetragen wird. Mit großen Augen schauen die NachbarInnen zu, wozu der Koch fähig ist.

Ein beeindruckender Film, der auch viel vom Leben und den Sitten in einer kleinen japanischen Stadt zeigt.

Mr. Long folgt einer aufgezwungenen, perfektionierten Routine, die keinen Raum lässt für Gefühle von Triumph oder Rache - nur für die Angst: die Angst, dass ein kleiner Junge sich den Schirm seiner Mütze hochgezogen und all diese Grausigkeiten mitangesehen haben könnte“, sagt der spiegel.

ldikó Enyedi's ungarischer, in mancher Hinsicht beeindruckender Film Körper und Seele spielt überwiegend auf einem Schlachthofgelände. Hier arbeiten auch Frauen. Eine davon, von grazil-zerbrechlicher Schönheit, ist neu eingestellt als Lebensmittelkontrolleurin. Ihr merkwürdig steifes, klinisch akkurates Auftreten, das sie auch zu Hause zelebriert, bringt sie bald in eine Außenseiterposition. Wenig später werden Potenzmittel (für die Stiere) aus dem Medikamentenschrank gestohlen und im dortigen Raum randaliert, meist sind es Schmierereien.

Die Polizei wird eingeschaltet und diese beauftragt mit Einverständnis des Chefs eine Psychologin, die die gesamte Belegschaft des Schlachthofs untersuchen soll. Diese ist attraktiv. Speziell die Schlachter, sowieso testosterongesteuert, sind irritiert von diesen beiden Frauen. Die Psychologin beginnt ganz cool die Einzelgespräche mit dem Personal, alle Gespräche werden mit Recorder aufgenommen. Auch der Chef, der sie anzüglich anguckt hatte, ist dran. Ihre erste Frage lautet: „Wann hatten Sie Ihren ersten Samenerguss?“. Er, wie auch alle anderen, versuchen erst einmal empört und verlegen drumherumzureden.

Später werden alle nach ihrem letzten Traum gefragt. Der Chef erzählt, er sei ein Hirsch gewesen und hätte gemacht, was Hirsche eben so machen im Wald. Der Film zeigt, was die Hirsche da machen. Die Lebensmittelkontrolleurin erzählt, sie sei eine Hirschkuh gewesen und inhaltlich ungefähr dasselbe wie der Mann. Die Psychologin ist erst irritiert, dann empört. Sie spielt später den beiden die aufgenommenen Protokolle vor.

Später kommen sich Chef und Lebensmittelkontrolleurin näher, wollen zu Hause auch „zusammen einschlafen“. Die Psychologin überführt den Täter.

Ein gelungener Film, man kann verstehen, dass er den Goldenen Bären in Berlin gewonnen hat. Aber, man muss Blut sehen können, sehr viel Blut – und nicht nur, wenn den Rindern im Schlachthof der Kopf vom Leib getrennt wird.

Die Regisseurin „erzählt in vielen Großaufnahmen, fängt im Detail ein, was den Alltag der Menschen bestimmt, aber auch das Besondere. Das sind nicht immer schöne Bilder, aber doch gute“, meint kino-zeit.

James Ponsoldt's Film The Circle erzählt als Anti-Utopie nach einem Bestseller-Roman von Dave Eggers von der nahen Zukunft der Social-Media-Welt, von einem Konzern, bei dessen Darstellung des Arbeitsumfeldes man an Google denkt, der aber noch größer ist und erreichen will, dass alle ihr ganzes Leben aufzeichnen und der Community zur Verfügung stellen - und immer möglichst auch nur für diese Community da sind.

Eine junge Frau (Emma Watson, die wohl jeder kennt), die gerade dort angefangen hat zu arbeiten, ist bei der Verwirklichung der Konzernziele ihr Versuchskaninchen, nachdem ihr Vater medizinische Hilfe vom Konzern erhalten hat. Kleine, murmelgroße Kameras, die getragen werden und auch überall vom Konzern platziert werden können, zeichnen die Aktivitäten auf – wie auch Armbänder sämtliche Körperdaten.

Sie zeichnet alles auf. Doch als die Eltern sich von der Tochter abwenden und bald auch einer ihrer Freunde ums Leben kommt, während er vor Kameras mit dem Auto zu flüchten versucht, wendet sich die junge Frau medienwirksam gegen den Konzern.

Filmtechnisch ist das alles ein bisschen naiv-geradlinig erzählt, aber die Botschaft, dass diese Internet-Transparenz Gefahren birgt und auch sozialen Druck auf jene ausüben kann, die sich ihr nicht bedienen, kommt an. Und die vermeintlich sagenhaften Arbeitsbedingungen in der Konzern-Welt werden auch visuell ansprechend in Szene gesetzt.

Ich hatte den Eindruck, dass der Film einige Jahre zu spät dran ist, um wirklich noch großen Erfolg zu haben, denn das, was dort als Zielsetzungen des Konzerns gezeigt wird, ist zumindest hierzulande durch Gesetze und Rechtssprechung mittlerweile quasi verboten worden. Zwar kann jeder seine eigenen Daten ins Netz stellen, aber wenn Bilder gezeigt werden von fremden Personen oder privaten Grundstücken kann es gefährlich für die eigene Geldbörse werden – egal, ob sie mit Kamera, Videorecorder oder Drohne gemacht wurden. Aber gut, Gesetze können natürlich auch wieder geändert werden.

Die faz fragt, ob der Film nicht etwas dunklere Töne verdient hätte und eine Filmsprache, in der ein Schrecken wohnt. Auch das kann man so sehen, muss es aber nicht.

Prognose/Wertung: Filme noch mal ansehen?

Mr. Long: ja, wahrscheinlich.
Körper und Seele: ja, wahrscheinlich.
The Circle: das ist nicht gänzlich ausgeschlossen.

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C. Araxe - Freitag, 29. September 2017, 21:51

Ich finde es nach wie vor sehr schade, dass Sie das FFF nicht mitnehmen, da Sie recht viele Filme im Kino ansehen. Das FFF ist für mich vor allem sehr reizvoll, da es auf großer Leinwand ist und Filme gezeigt werden, die man teilweise nie wieder so zu sehen sind. Sehr beeindruckend fand ich da „Raw” und „Hounds of Love”. Und einige andere, die mehr als sehenswert waren. Ich glaube, dass Sie z. B. „Marlina the Murderer in Four Acts” sehr mögen werden.

Treibgut - Freitag, 29. September 2017, 22:28

FFF

... wie schon ausgeführt, ist mir das zu schwierig mit englischer Sprache/Untertiteln, und Festivals haben ganz allgemein den schwerwiegenden Nachteil, dass alles in wenigen Tagen und schwer geballt kommt. Da habe ich nicht mehr so recht Lust drauf.

Ich werde mir das alles in den nächsten Tagen mal durchlesen, was Sie zu den Filmen geschrieben haben.
Treibgut - Freitag, 6. Oktober 2017, 21:50

FFF (II)

Stimmt, "Raw" und der indonesische Film "Marlina ..." sowie einige andere Filme, die du beschrieben hast, würden mich wahrscheinlich schon interessieren.

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